Welche Kampfsportart ist die beste?

Die Frage nach der besten, realistischsten, effektivsten Kampfsportart hört man immer wieder. Ist es Ju-Jutsu, Krav Maga, Jeet Kune Do, Wing Chung, Boxen, Brasilian Jiu Jitsu (BJJ), Mixed Martial Arts (MMA), Systema, Kali oder ein anderes System? Wer würde in einem Aufeinandertreffen gewinnen? 

 

Viele Kampfsportler sind von ihrem Stil so überzeugt, dass es immer wieder zu Streitgesprächen kommt. Ich selbst betreibe seit mehr als 35 Jahren Kampfsport. Ich habe den 3.Dan im Ju-Jutsu und betreibe auch Kali. Ich konnte Erfahrungen sammeln mit Judo, Aikido, Kendo, Defence Lab, i-Pensa, OFD, Systema, Boxen, Kickboxen, Taekwondo und vielen anderen Kampfsportarten.  

Auch Bruce Lee, der berühmte Kampfsport-Kinostar aus den 70er Jahre, befasste sich mit dem Thema „Was ist der beste Stil?“.  Er erklärte, dass nie die Stile kämpfen, sondern die Kämpfer. Ich glaube er hat Recht. Es sind vor allem drei Faktoren, die im Kampf über Sieg oder Niederlage entscheiden: Kopf, Körper und Technik. 

Faktor 1: Der Kopf

Die mentale Einstellung, der Siegeswille, das Durchhaltevermögen und der Mut des Kämpfers sind entscheidende Faktoren. 

Faktor 2: Der Körper

Fitness, Schnelligkeit, Kraft aber auch das Körpergewicht oder die Größe des Kämpfers spielen eine wichtige Rolle. Auch die Schmerzempfindlichkeit und die „Nehmerqualitäten“ sind trainierbare, körperliche Faktoren.

Faktor 3: Die Technik

Hier geht es zwar um den Kampfstil, aber nicht nur. Viel wichtiger ist meiner Meinung nach, was ein Kämpfer aus dem Stil macht. Es geht darum, wie geschickt er oder sie eine Technik eines bestimmten Stils anwenden kann. Wie lange dauert es, bis jemand eine Technik erlernt? Dauert es 1 Woche oder 5 Jahre oder ist sie für einige Menschen gar nicht erlernbar? Es gibt zum Beispiel sehr einfach erlernbare Messerabwehrtechniken, die aber im Kampf nicht immer ideal sind. Es gibt andere, sehr effektive Messerabwehrtechniken, die aber jahrelanges Training erfordern.

Kopf, Körper und Technik eines Kämpfers werden im Training geformt.

Wie gut ein Kämpfer in einer Auseinandersetzung ist, entscheidet sich vor allem dadurch, wie er oder sie trainiert. Wer theoretisch perfekte Selbstverteidigungstechniken immer nur in einstudierten, fest reglementierten Abläufen trainiert, wird wahrscheinlich im Ernstfall auf der Straße nicht gut aussehen. Die Abwehr von frei angreifenden Gegnern - auch mehrere -  oder das Training im Freien, im Dunklen, in Alltagsumgebungen, in Straßenkleidung unter stressigen Bedingungen sind wichtig.  Körperliche Vorbelastung kann hierbei den Stress simulieren, der bei einem echten Kampf auftritt, wenn einem das Herz bis zum Hals schlägt.

 

Auch der freie Kampf, das Sparring mit Schlagtechniken und Schutzausrüstung oder der Judo-Kampf, das Ringen, der Bodenkampf usw. simulieren, wie es ist, wenn der Gegner nicht mitspielt oder selbst gewinnen will. Selbst hocheffektive Kampfsportarten, die immer nur einstudierte Technikabläufe trainieren und auf Sparring und freie Verteidigung verzichten, bereiten meist nicht gut auf den Straßenkampf vor. 

Überhaupt ist der Kampf am Boden, wie ihn Brasilian Jiu Jitsu (BJJ) Kämpfer grandios beherrschen, einer der wichtigsten Bausteine für effektive Selbstverteidigung, vor allem wenn man nur einen Angreifer hat. Kämpfe im Mixed Martial Arts (MMA) werden sehr häufig am Boden entschieden, durch Würger, Hebel und Festhalter.

 

Wenn auch der Körper und die Fitness ein Erfolgsfaktor sind, spielt die Intensität des Trainings natürlich auch eine Rolle. Ich glaube, ein gut trainierter Judo-Kämpfer mit starkem Geist und Körper kann gegen einen Schlag- und Trittspezialisten aus dem Karate oder Teakwon Do gewinnen. Natürlich kann das auch genau umgekehrt passieren. Es kommt auf die Kämpfer an und wie sie trainiert haben, weniger auf den Stil.

 

Ju-Jutsu ist eine großartige, moderne Kampfsportart und bietet alles, was man für eine effektive Selbstverteidigung braucht. Die Integration von Elementen aus dem Kali, Boxen und anderen Stilen macht es noch realitätsnäher und besser. Ju-Jutsu entwickelt sich seit der Gründung Mitte der 60er Jahre immer weiter. Da Ju-Jutsu Teil der Ausbildung von Polizei, Justiz und Spezialkräften ist – die natürlich oft auch andere Kampfkünste trainieren – gibt es viel Rückmeldung aus echten Anwendungssituationen. Was sich im Einsatz bewährt, bleibt, was durchfällt, wird weggelassen. 

Im Ju-Jutsu kann der Trainingsfokus auf realistischer Selbstverteidigung liegen, auf sportlichem Wettkampf, auf Körperbeherrschung und Freude an der Bewegung, auf Gesundheit und Fitness, auf Spaß und Spiel oder auf mentaler Stärke und Gelassenheit. Es bietet damit im Gegensatz zu oft sehr anstrengenden, Hochintensitätskonzepten auch älteren Menschen, Menschen mit kleineren und größeren körperlichen Einschränkungen, Kindern, Frauen u.v.a.m. einen perfekten Sport, der bis ins hohe Alter betrieben werden kann. Bei Lehrgänge treffe ich oft Sportkameraden, die seit 30 Jahren und mehr Ju-Jutsu trainieren. In Deutschland wird Ju-Jutsu meistens in gemeinnützigen Vereinen betrieben. Andere Kampfsportarten nutzen oft kommerziell ausgerichtete und manchmal kostspieligen Vertriebsorganisationen. Die Mitgliedschaft und Lehrgänge im Ju-Jutsu sind in der Regel unkompliziert und relativ preiswert. Das ist sicher auch ein Grund, warum rund 53.000 Menschen in Deutschland Ju-Jutsu betreiben (Stand 2017).

 

Statt also zu streiten, welche Kampfsportart die Beste ist, habe ich persönlich immer versucht andere Stile kennen zu lernen, ihre Ideen und Ansätze auszuprobieren, sie zu verstehen und sie in meinen persönlichen Stil einzubauen. Jede Kampfkunst hat tolle Techniken, tolle Trainingsmethoden und meist auch tolle Menschen, die jeden von uns persönlich weiterbringen. Viel Spaß dabei.

 

Stefan Wörnle und die Trainer des KSV-Unterwössen